Einmal im Jahr gerate ich in eine Runde Menschen, die ich nicht kenne, genauer gesagt, ich kenne nur eine Person, nämlich die Gastgeberin. So eine Party – wenn man denn diesen Ausdruck für eine Geburtstagsfeier von jemandem, der in den Siebzigern ist, gebrauchen will – kann ganz schön anstrengend sein, weil ja jeder jeden kennt, nur keiner kennt mich.
Es ist nicht ganz einfach, da einen oder mehrere Gesprächspartner zu finden und man ist den Leuten ausgeliefert, neben denen man zu sitzen kommt. (By the way: Satzkonstruktionen mit ‚zu’ liebt der Berliner, z.B.: ‚Ich habe da noch einen Stapel Deutscharbeiten zu liegen.‘ Strange! )
Letztes Jahr – ich erinnere mich genau – beschwerte sich die Dame neben mir ziemlich langstielig darüber, dass sie immer wieder und wieder Zeugin von Gesprächen werden müsse, die sie nicht hören wolle.
Die Ärmste.
Sie meinte natürlich Handygespräche in der U-Bahn, im Bus, im Wartezimmer und so. Ich konnte ihr da nur bedingt zustimmen, mich nervt das zwar auch, aber hauptsächlich deswegen, weil ich nur EINE Hälfte des Gesprächs mitbekomme und mir den Rest zusammenreimen muss.
Das behielt ich aber vorsichtshalber für mich.
Überhaupt Handy, also nein… es mischten sich damals noch mehr Gäste in das Gespräch ein. Jeder hätte ja ständig nur noch so ein Gerät in der Hand oder am Ohr, entsetzlich, ein Verfall der Sitten, besonders bei Jugendlichen, das wäre ja schon fast krankhaft – wo blieben die direkten menschlichen Kontakte, wo die echten Emotionen, wo das wahre Miteinander? Ach, wie anders war es doch damals, als wir noch jung waren. Wir haben uns noch Briefe geschrieben und uns monatelang vorher fest verabredet und es hat auch geklappt…
Pöh, dachte ich! So ein Quatsch. Als ob das Spaß gemacht hätte! Als Siebzehnjährige musste ich meinem Freund jeden Tag einen Brief schreiben, anders ging es nicht, der war nämlich im Internat und kam nur am Wochenende nach Hause. Täglich hoffte ich, er hätte geantwortet und wenn kein Brief im Kasten lag, dann war meine Laune im Keller. Telefonieren konnten wir auch nicht, weil das in dem Scheißinternat nicht ging.
Und? Fand ich das toll? Ja, ganz toll! Super!
Mit Kusshand hätte ich whatsapp, facebook und was noch so alles gibt, genommen.
Naja. Ich habe auch dazu nicht viel gesagt. Hätte ja eh keinen Sinn gehabt. Ich bin aufs Klo gegangen und habe meine neuen Mitteilungen auf dem Handy gelesen und war sehr zufrieden, dass ich überhaupt welche bekomme.
Dieses Jahr war es genau wie letztes Jahr. Die Dame zur Rechten war sehr gesprächig und ich hörte mir Vorträge über ihre Hobbys an. Gegen zehn zückte eine smarte Endsechzigerin links von mir ihr Handy und zeigte es ihren Sitznachbarn. Ein funkelnagelneues iPhone6. Zu Weihnachten bekommen, wahrscheinlich. Aber Madame hatte Probleme, sie kam mit dem Teil nicht klar und bat um Hilfe.
Schwuppdiwupp waren die Männer ringsherum dabei. Es wurde getouchscreent, geäppt und gescrollt, was das Zeug hielt.
Plötzlich ertönte ein Weihnachtslied. Die Stimme der Gastgeberin. Aber die saß mir stumm gegenüber und nippte gerade an ihrem Glas Roten. Ach so, die Klänge entfleuchten einem Galaxy s5 und der weißhaarige Besitzer schilderte stolz, dass sie ihm auf diese Weise einen lieben Gruß zum Feste geschickt hätte. Originell, oder?
Rechts von mir kicherten zwei Omis, die sich ganz ungeniert Fotos ihrer Enkel zeigten. Natürlich keine aus Papier.
Und am Fenster machten zwei Damen im Glitzeroutfit ein Selfie von sich. Das wurde dann gleich bei facebook gepostet, nehme ich an.
Ich staunte nicht schlecht und beschloss zu gehen, bevor die Party völlig ins Seelenlose abdriftete.
Schon im Mantel rief ich von der Tür her: „Tschüs und viel Spaß noch!“
Aber keiner würdigte mich mehr auch nur eines Blickes.