Dem Coiffeur ist nichts zu schwör

„Wie geht’s, Madame?“ Murat lächelt mich ein bisschen zerstreut an und schiebt mir galant den Stuhl unters Hinterteil.
„Was soll gemacht werden?“
„Schneiden, bitte!“
Murat legt die flache Hand auf meinen Kopf und wuschelt mit gespreizten Fingern durch meine Haare. Das machen die Friseure immer so. Ich weiß nicht, warum. Damit verschaffen sie sich irgend einen Aufschluss, vermute ich. Vielleicht über die Qualität der Haare oder der Kopfhaut. Oder es macht ihnen nur einfach Spaß- wie gesagt, keine Ahnung.
Dann seufzt er.
„Wie immer, Bob?“ fragt er.
„Ja, bitte, aber nicht zu kurz.“
„Da muss Form rein!“
„Äh, ja…“.
„Und Färben!“ sagt Murat.
Das habe ich befürchtet. Widerspruch ist zwecklos.
„Okay!“
Murat schlurft ein bisschen gebeugt von dannen. Es sieht immer so aus, als hätte er Hausschuhe an, dabei trägt er schicke Slipper. Aber er ist auch sehr groß und nicht mehr der Jüngste. Murat sieht überhaupt nicht aus wie ein Friseur , eher wie ein französischer Journalist. Einer aus dem Feuilleton. Er hat auch keine Friseurfrisur, sondern einen leicht schütteren, unregiert-lockigen Kopf. Dazu eine schwarze kleine Lesebrille, ein schwarzer Rollkragenpulli, eine legere, ebenfalls schwarze Hose – und fertig ist sein Intellektuellenlook. Er ist der Chef des Salons – ‚Coiffeur Murat‘ steht draußen auf dem Ladenschild.
Da schlurft er auch schon wieder herbei mit der angerührten Farbe in der Hand.
„Selbst gefärbt, was?“ fragt er streng, scheitelt mein Haar und beugt sich hinunter, wahrscheinlich, um das Elend besser in Augenschein nehmen zu können.
„Hm,“ sage ich demütig. Ich war ja bestimmt ein halbes Jahr nicht mehr hier. Und Selbst-Färben ist absolut pfui! Jedenfalls findet Murat das.
„Das Haar ist überfärbt!“ stellt er traurig fest .
„Aber ich habe doch immer nur die Ansätze…,“ versuche ich mich zu verteidigen.
Murat schüttelt leicht den Kopf und schweigt.

Dann muss die Farbe einwirken und ich besehe mich derweil im Spiegel. Wie ich aussehe! Katastrophe! Aber ich bin nicht allein. Ich habe mal gelesen, dass sich Frauen beim Friseur während der gesamten Prozedur extrem hässlich finden. Es gab eine Studie dazu…
Die Frau neben mir sieht zum Glück auch nicht viel besser aus. Sie hat eine Million winzigster Lockenwickel auf dem Kopf. Bestimmt Dauerwelle. Voll Achtziger. Ich wusste gar nicht, dass es noch Menschen gibt, die so was haben wollen. Dummerweise sitzen wir in so einer Art Schaufenster und die Passanten wechseln, glaube ich, extra die Straßenseite, um einen Blick auf uns zu werfen Ich lege die Brille ab. Dann sieht man mich nicht so gut.
Murat bringt mir zum Trost Kaffee und einen ‚Spiegel’. „Das lesen Sie doch gerne, Madame“, sagt er und verbeugt sich leicht. Er muss ein irre gutes Gedächtnis haben, jedenfalls besser als meins, denn ich kann mich gar nicht dran erinnern, hier schon einmal den ‚Spiegel’ gelesen zu haben.

Später beim Schneiden sagt er bekümmert: „Die Spitzen sind sehr, sehr schlecht.“ Es hört sich so an, als spräche er über den Verfall von Sitte und Moral.
„Bestimmt, weil ich oft ins Schwimmbad gehe,“ beeile ich mich zu erklären.
Murat senkt den Blick und murmelt etwas. Ich bin erkältet, meine Ohren sind dicht und ich kann nicht verstehen, was er meint. Vielleicht besser so.

Dann ist es überstanden. Murat, der einzige Mensch auf Erden, der es schafft, meine Haare ganz glatt zu fönen, hat sich wieder mal selbst übertroffen. Der Bob sitzt, die traurigen Spitzen sind Vergangenheit und die Farbe meine Haare war nie so schön wie heute.

Murat ist plötzlich strahlender Laune, er wuschelt mir Abschied nehmend noch einmal die ganze Pracht durch, fegt noch einen Hauch Haarspray durch die Luft, der mich wie ein Schleier umweht, charmiert mich zur Kasse, hilft mir in den Mantel, reißt die Tür auf und verabschiedet mich mit den Worten: „Bis bald, Madame Krise!“

Au revoir, Murat. Wir sehen uns wieder. Aber so ganz bald bestimmt nicht…

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10 Antworten zu Dem Coiffeur ist nichts zu schwör

  1. anneinsideoffice schreibt:

    Murat spielt ja ganz schön mit Ihren Gefühlen 😉
    Das mit dem hässlich aussehen beim Coiffeur kenne ich von mir auch. Ich habe eine super Coiffeuse in der Nähe von der Arbeit (ein paar Schritte), da gehe ich gerne zum Schneiden, über Mittag Superpraktisch. Aber NIE würde ich da Strähnchen machen, denn da könnte jederzeit einer meiner Arbeitskollegen reinstolpern und mich mit Folie auf dem Kopf sehen.

  2. michaela schreibt:

    „Ich lege die Brille ab. Dann sieht man mich nicht so gut.“
    Gut gelacht! Danke, Frau Krise.

  3. michael schreibt:

    > Aber so ganz bald bestimmt nicht…

    Ist eine kleine Weltreise angesagt?

  4. Ich hasse den Frisör! Der schlimmste Moment ist immer gekommen, wenn ich anfange, mir selber erfolglos mit der Rundbürste die Haare zu föhnen. Die Kosmetikerin bei meinem Frisör lacht mich jedesmal aus, leider völlig zu recht. Ich kann nur den Fön ODER die Bürste halten.

  5. lilohenner schreibt:

    Danke, dass du zugibst, so extrem hässlich beim Friseur auszusehen – ich dachte, das geht nur mir so! Wie machen die das? Ein Beleuchtungstrick?
    Aber das ist gar nicht der Grund, warum ich nicht gerne zum Friseur gehe. Ich weiß nicht, worüber ich mit meiner Dame – wir haben hier leider keinen Murat – reden soll, aber die quatscht immer. Übers Wetter, über ihren Urlaub, über Haare – das sind nicht gerade meine Lieblingsthemen und ich fühle mich dann wie ein schlechter Gesprächspartner.

    • Frau Schletterer schreibt:

      Das ist sicher nicht erstrebenswert für einen Friseur, daß die Kundinnen sich häßlich fühlen, während sie da sitzen. „Die machen das“ also nicht, sondern der „Beleuchtungstrick“ ist eher eine ungewollte Nebenwirkung der Neonbeleuchtung, die für ein gutes Arbeiten erforderlich ist. Der Kopf der Klientin (fast hätte ich Patientin geschrieben…) will gut ausgeleuchtet sein, damit am Ende die neue Frisur auch richtig sitzt.

      • lilohenner schreibt:

        Naja, wenn die Haare gefönt sind, sieht man ja dann wieder ganz ansehnlich aus. Also psychologisch: Mensch, bin ich hässlich, aber hey, der Friseu der zaubert mich attraktiv! Da geh ich wieder hin…

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