Wartezimmerblues

Gehen Ärzte eigentlich mal in ihre eigenen Wartezimmer?
Bestimmt nicht. Sonst würden sie wahrscheinlich schreiend rauslaufen.

Aber was sollen sie auch in ihrem Wartezimmer? Da sitzen doch nur Patienten!
Außerdem waren sie da doch vor zwanzig Jahren schon mal drin, damals, als sie alles für das Wartezimmer getan haben, was man als Arzt tun kann: Sie haben Möbel gekauft, ein paar Zeitschriften und auch eine kleine Auswahl Kinderspielzeug (oder den abgelegten Kram ihrer eigenen Kinder angeschleppt und der ist oft besser, als der neu gekaufte!)
Ja. Und vorher mussten sie auch noch das ganze medizinische Zeug, diese vielen Instrumente und Apparaturen anschaffen – klar. Das war natürlich unsagbar teuer und deshalb litt die Ästhetik des Wartezimmers ein bisschen. Egal, Hauptsache praktisch und langlebig, dachte der Arzt und das war ja auch völlig in Ordnung.
Aber ‚Eins zwei drei, im Sauseschritt
eilt eilt die Zeit – wir eilen mit’ und schwupps – schon sind die Jahre ins Land gegangen. Der Arzt ist inzwischen ergraut, er hat Berufserfahrung angehäuft, eine Familie gegründet und ein Haus gebaut.
Das Wartezimmer aber ist immer noch das alte.
Und so sieht es dann auch aus.
Gestern musste ich zu meiner Augenärztin. Ihre Praxis brummt, man muss wochenlang auf einen Termin warten und dann noch mal mindestens eine Stunde, bis man aufgerufen wird.
Viel Zeit, das Elend genau zu studieren.
Abgewetzte Dielen, an drei Wänden entlang festgeschraubte, unbequeme Stühle mit fleckigen braunen Polstern, in der Mitte ein unfassbar oller Tisch mit TOTAL zerlesenen uralten Zeitschriften, eine wackeliger Garderobenständer, der umzustürzen droht, zwei Grünpflanzen, die mit dem Tode ringen und in der Ecke der Höhepunkt: das Kinderparadies! Ein Minipodest, mit grünem abgenutztem, schmuddeligen Teppichboden und darauf eine Plastikbox mit uraltem Ich-kann-nicht-erkennen-was, auf der die Keime Tango tanzen.
Ach ja und vier Bilder an den Wänden. Fotos. Griechenland und Portugal, glaube ich. Ausgerechnet…

Voll einladend.

Das Wartezimmer meines Hausarztes ist fast noch schlimmer. Seine Stühle sind so durchgesessen, dass ich jedes Mal nach ein paar Minuten Rückenschmerzen bekomme. Immerhin wird bei ihm manchmal Tee aus einer Thermoskanne angeboten.

Natürlich gibt es auch freundliche Wartezimmer, in denen man sich gerne aufhält. Bei meiner Zahnärztin kann man sich auf ein Sofa schmeißen, Wasser trinken und ‚Schöner wohnen’ lesen. Mehr will man doch gar nicht! Und genügend Spielzeug gibt es auch. Das Mumpikind konnte ich neulich mühelos eine Stunde damit befrieden.
Also – geht doch!

Liebe Ärzte – falls hier überhaupt welche mitlesen.
Tut mir EINEN Gefallen. Geht heute nach der Arbeit mal für drei Minuten in euer eigenes Wartezimmer.
Stellt euch vor, ihr wärt krank. Nix Schlimmes, eine Erkältung oder so. Ihr seid also noch fast im Vollbesitz eurer geistigen Fähigkeiten und nicht fiebrig-komatös! Tut, als ob ihr einen Termin hättet und trotzdem eine Stunde warten müsstet!
Setzt euch hin. Und dann guckt euch mal mit Verstand um….

Wenn ihr Hilfe braucht: Ich komme gerne vorbei und mache Probesitzen!

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24 Antworten zu Wartezimmerblues

  1. hafensonne schreibt:

    Wie wahr… *seufz* Am besten ist es, wenn dann noch der Anmeldetresen und das Wartezimmer nicht räumlich getrennt sind und man bar jeden Datenschutzes dann so schöne Informationen wie „Ja, Frau Müller, Ihr Pilzbefund ist da!“ mitbekommen darf…

  2. datmomolein schreibt:

    LOL… ja das ist wohl Betriebsblindheit. Man erkennt die „neuen“ Praxen immer sehr gut von den Alteingesessenen. ich stelle fest je mehr IGeL Leistungen der Arzt anbietet, desto besser die Praxisräume: also sind Zahnärzte, Gynologien und so immer besser ausgestattet. Mein neuer Gynokologe ist sogar echt stylisch. mein Hausarzt, ja ähm, Charme findet man da nicht, immerhin sind die Stühle neu, aber immer noch unbequem. Und so ein schöner raum, aber immer fein die Stühle an der Wand lang. Alle gucken auf die gähnende Leere in der Mitte.

    • Frau Schletterer schreibt:

      Noch blöder ist der Wartebereich meines Orthopäden! Die Praxis befindet sich in einer ehemaligen Fabrik, weswegen Anmeldung und Wartebereich sich einen großen Raum teilen. Damit die Wartenden nicht jeden anglotzen, der hereinkommt, sind die Stühle in Reihen aufgestellt, so daß alle Patienten in Richtung Fernseher an der Wand schauen. Nur leider ist der nie eingeschaltet, so daß alle ganz dämlich hintereinander in den Reihen hocken und die Wand resp. den schwarzen Bildschirm anglotzen. Da kommt noch nicht einmal ein Gespräch zwischen den Patienten zustande!
      Aber wenigstens sind die Zeitschriften aktuell.

  3. Heini schreibt:

    Heutzutage haben alle so hohe Ansprüche. Früher, als ich noch zum Arzt gegangen bin, gab es einen gefließten Raum mit Kunststoff-Bestuhlung und einer Kunststoffkiste mit paar Kunststoffspielzeugen. Das hat uns gereicht. Da sind wir bis zu 2 Stunden gesessen und nicht allein und gemütlich, nee. Der Raum hat 25 Sessel gehabt und normalerweise waren – Termin und Uhrzeit völlig egal – wenigstens 20 besetzt.

    Damals haben die Ärzte noch an ihre Patienten gedacht. Da wurden wir aktiv entschleunigt und quasie zur meditativen Kontemplation (inkl. kostenlosem Hustenkonzert) gezwungen. Allein aus Selbstverteidigung haben wir Arztbesuche vermieden. Fördert doch auch die Gesundheit.

    Das kenne ich heute nur noch aus moderen Ambulanzen, da sitzt man so gut wie damals am Bahnhof, als es die zugigen Warteräume noch gab. Einziger Unterschied zwischen Bahnhof und Ambulanz – die Toiletten sind am Bahnhof besser.

  4. schnipseltippse schreibt:

    Bei meiner früheren Gyn musste man immer mit dem Pipipröbchen am Empfangstresen vorbei. Und da standen IMMER wartende Männer herum, weil das Wartezimmer mit ihren wartenden Frauen vollgestopft war. 2 Std Wartezeit trotz Termin waren dort normal.
    Das ist eine Sache, die in der Schweiz ganz anders ist. Man wartet nur in Ausnahmefällen mal länger als 10-15 Minuten. Und die Pipibecher stellt man in eine Durchreiche. So geht das, jawoll 😉

  5. Curima schreibt:

    Der Witz ist ja eigentlich vor allem, dass man meistens in den Praxen, die total tolle Wartezimmer haben, maximal 15 Minuten wartet und in den Wartezimmern des Grauens auch gerne mal 2 Stunden. Ich vermute da einen Zusammenhang 😉

    • PeterLe schreibt:

      Das liegt daran, dass die mit den tollen Wartezimmern Privatpraxen oder Fachärzte sind, die mit den weniger tollen Kassenärzte, Allgemeinmediziner oder Fachärzte mit Notfällen, wie Augenärzte, HNO, Urologen oder Orthopäden sind, die diese Fälle zusätzlich zu den Terminen behandeln müssen.

      • Curima schreibt:

        Das liegt aber auch an der Praxisorganisation, denke ich. Mein Zahnarzt ist z. B. ein ganz normaler Kassenarzt, bei dem man auch mit einem Notfall am selben Tag drankommt. Und ich hab da noch nie länger als 10 Minuten gewartet. Und ja, das Wartezimmer ist bei dem auch sehr schick.

      • PeterLe schreibt:

        @Curima Wie gesagt, Privatpraxen oder FACHärzte, zu den zählen durchaus auch ZAHNärzte.

    • FrauL schreibt:

      Stimmt tootaal! Richtig schade aus gemütlichen Wartezimmern mit Couch neben Kaffeemaschine und Aquarium, brandneuer Brigitte und sogar Süßigkeiten schon nach 10 Minuten weggerissen zu werden. Warum ist das so?!?

      • FRG schreibt:

        Ein Zahnarzt ist kein Facharzt (Studiengang Humanmedizin + Facharztweiterbildung) sondern ein Zahnarzt (Studiengang Zahnmedizin).

  6. anneinsideoffice schreibt:

    Du sprichst mir aus dem Herzen. Ich habe diese Woche auch meiner Freundin gesagt, ich könnte gut zu ihrem Zahnarzt wechseln, da mein langjähriger seit 20 Jahren die extrem umbequemen Stühle im Wartezimmer hat. Die tue ich mir jetzt mit meinem Rücken nicht mehr an, weil ich da oft mehr als eine Stunde warten musste. Und beim Zahnstein entfernen, welches er selber machte, war er auch grob. Ich dachte dass müsste so sein, bis ich einmal „fremdging“. Das bleibt jetzt so.
    Jetzt frage ich bei empfohlenen der Freundin für einen Kontrolltermin an.

  7. madameflamusse schreibt:

    die schicksten Wartezimmer und Praxen habe ich bei Zahnärzten erlebt, das war mir dann manchmal zu schick da hab ich mich dann so schmuddlig gefühlt, nicht schick genug und so, aber da scheint aufjedenfall gut Geld da zu sein, obwohl ich da schon so viel schlechte Arbeit erleben mußte ..mmh oder vielleicht ja grade deswegen.. bei meiner Hausärztin komme ich nur seltenst bis zum Wartezimmer, die Praxis ist nämlich übelst überfüllt.

  8. janne schreibt:

    Moin, bei meinem Facharzt sah es genauso aus. Dann der Umzug, schicke neue Praxis, Arzt ganz stolz, seine Frau ist Innenarchitektin, soweit so gut. Das Wartezimmer (und es verdient seinen Namen, denn trotz Termin, auf den man monatelang warten musste, muss man auch hier wieder Stunden w.a.r.t.e.n bis man/als Kassenpatientin dran kommt) bietet dann echte Ablenkung. Ausliegen hat er die Apotheken-Umschau, (wahrscheinlich von Patienten vergessene) „*ild der Frau“, sowie *okus money und irgendwelche abstrusen Innenarchitektur-Hochglanzmagazin, alles alt, zerfleddert. Nix mit Lesezirkel und Zeitvertreib mit B*nte, Ga*a, Spie*el oder Sch*ner Wo*nen. Ich nehme jetzt immer ein Buch mit, is ja kein Ding. Trotzdem wüsste ich gerne mal, wie es im hinteren Bereich der Praxis aussieht, wo die Privatpatienten gleich hingeleitet werden. Wahrscheinlich levitiertes Wasser, Kaffeevolllautomat, Fußmassage…. Steht bestimmt in F.money, wie man am effizientesten mit den zweite Klassepatienten umgeht. Gibt ja aber auch andere…wo für die kids sogar M*ckyMäuse liegen, gibts auch als Lesezirkel 🙂

    • frlkrise schreibt:

      Ich bin auch privat unterwegs, habe bisher aber nur EIN Wartezimmer erlebt, dass qualitativ etwas besser war als das allgemeine.
      Dafür sind die Privatwartezi kleiner und man ist total vom Praxisgeschehen abgeschnitten. VOLL ÖD! Ich geh immer lieber ins Große.

      • janne schreibt:

        Och menno, nun ist meine schöne Illusion vom Glitzer-Glamour-Wellness- Privat-Separee zerstört; ich geh mal weiter Apotheken-Umschau lesen.
        Janne

  9. lilohenner schreibt:

    Ganz ehrlich: ich weiß zwar genau, was ihr mit Wartezimmerästhetik meint, aber da ich in der Provinz lebe, ist es mir wurscht, wie das Wartezimmer aussieht, hauptsache ich finde überhaupt einen halbwegs ordentlichen Arzt in erreichbarer Nähe, den ich dann auch noch verstehe.

  10. Eva schreibt:

    Liebes Frl. Krise,
    da haben Sie aber recht. In unserem Wartezimmer ist es wohl eher so wie bei Ihrer Zahnärztin, da achte ich selber schon drauf. Aber auch ich geh ab und an zu anderen Ärzten und wenn, schaue ich IMMER, wie es da so ist. Sehr interessant….. Und meist halt auch so unterschiedlich, wie die Menschen eben sind 😉.
    Aber schöne Stühle, ein paar schöne Zeitschriften, eine Flasche Wasser und ab und zu mal Fenster aufmachen sollte schon drin sein!
    Grüße von Eva (Arzthelferin bzw. neudeutsch MFA)

  11. Die Streberin schreibt:

    Tja, Krankenhäuser sind ja leider nicht besser…
    Durch nen Gen-Deffekt hab ich oft das Vergnügen des Besuchs, aber jeder ist nur eine weitere Qual für die Augen. Und wenn man noch zu 3/4 in der Narkose ist, knallgelb gestreifte Wände und grüne Plastikboden kann ich einfach nicht unkommentiert lassen X(

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