Hartes Schicksal

Vor dem angesagten Bäcker in meiner Straße steht samstags immer eine lange Schlange auf der Straße. Ja, richtig gelesen: Auf der Straße! Wie früher im Osten.
Unglaublich.
Ich spiele da nicht mit, denn soooo toll sind die Brötchen und das Baguette ja nun auch nicht. Und dann diese Verkäuferinnen… die sprechen nur Englisch und haben keine Ahnung von nichts.
Gut, der Bäcker nimmt wohl irgend ein besonderes Mehl – eben alles original Frankreich, wie sinngemäß mit Kreide auf der Tafel an der Hauswand steht und das soll den großen Unterschied machen – aber trotzdem.
Schlange stehen tu ich nicht. Schlange stehen hasse ich.

Ich gehe lieber gleich in die kleine türkische Bäckerei schräg gegenüber. Deren Erzeugnisse fallen zwar gegen die vom Franzmann etwas ab, aber was soll’s. Dafür ist immer gute Stimmung im Laden.
Die Verkäuferin – sie heißt Merve – plaudert in korrektem Deutsch/Türkisch/Deutschtürkisch mit den Kunden, je nach Herkunft und bedient nebenher umsichtig, kocht Kaffee, kassiert, putzt und isst unaufhörlich. Echt, immer, wenn ich reinkomme, liegt ein angebissenes Teilchen in ihrer Nähe. Dabei denkt man doch, dass so eine Bäckereifachverkäuferin nur noch saure Gurken und Sucuk mag.

Der Mann vor mir bestellt eine Wagenladung Brötchen. Merve verschwindet kauend im Hintergrund, Richtung Backautomat. Das kann dauern. Mist. Doch warten.

Zwei junge Frauen, eine mit Kinderwagen, die andere schwanger, trinken Kaffee an einem der drei runden Tischchen.

„Wie findest du Tscholina?“
„Neeee…“
„Und Anschelina?“
„Nee, bloß nix mit –lina hinten!“
„Warum nicht?“
„ Meine Schwiegermutter….“
„???“
„Paulina!“
„Ach so.“

Merve erscheint wieder auf der Bildfläche. Sie packt die Brötchen in mehrere Tüten und ruft: „ Bianca, wie findest du Sila?“
„Neee,“ sagt die Schwangere. „Nix Türkisches.“
Der Mann vor mir zieht mit seiner geballten Ladung Brötchen ab.
Jetzt bin ich dran.

Ich will aber noch gar nicht dran sein, ich will wissen, wie das Kind heißen soll.
Namensgebung finde ich total spannend. Im Dezember wurden in unseren Freundes- und Familienkreis fünf Kinder geboren: Thea, Theo, Lea, Leo, und Max. Zum Glück für die Lehrer werden die aus geographischen Gründen aber nicht alle in eine Klasse gehen.

„Was sagt denn dein Mann?“
„Ach Jarek… der will unbedingt einen polnischen Vornamen. Alicja oder so.“
„Alicja! Das ist doch süß. Alicja… Alicja – find’ste nich?“
„Nee. Nix Polnisches! Ich will einen deutschen Namen. Was sagst du zu Destiny?“

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17 Antworten zu Hartes Schicksal

  1. Ulla39 schreibt:

    Die letzte Zeile erinnert mich an ein kleines Erlebnis neulich im Taxi. Der Fahrer mit perfektem Deutsch und einem Hauch von französischem Akzent, dem Äußeren nach wohl ursprünglich aus Marokko, erscheint mir geeignet, daß er mir zuverlässig Tajjine oder wie das heißt – also der marokkanische Lehmtopf mit hohem Deckel zum Garen – vorsprechen kann. Er tut es und fügt hinzu, daß es im Berberischen ( er sagt nichts Genaueres) „marmite“ genannt wird. Also ist er ein selbstbewusster Berber und kein arabischer Marokkaner. Nur: marmite ist das französische Wort für Eimer…

  2. Mumbai schreibt:

    Ihr Humor und Schreibstil ist koestlich , Frl. Krise. Freue mich jedes Mal auf einen Beitrag von Ihnen….danke.

  3. einestachelbeere schreibt:

    Einen Namen auszuwählen ist so eine große Verantwortung! Schließlich muss das Kind sein ganzes Leben lang, ja, damit leben. Angeblich haben Jacquelines schlechtere Berufschancen als Katharinas.
    Ich finde es schrecklich, wenn alle immer gleich heißen. Aber das ist wohl so, es gibt eben auch Namentrends. Ein Freund sagte, ihm sei wichtig, dass der Name in möglichst viele Sprachen der Welt gut auszusprechen sei. (Er heißt Johannes und hatte Frankreich, Russland und Südamerika bereist….)
    Ich möchte, dass der Name individuell ist – auch nicht so ganz leicht. Aber ich schweife ab….
    Arme Destiniy… frage mich wie ihre Mutter heißt…

  4. michathecook schreibt:

    und wir dachten damals Kevin waere ein schlimmer Name….. da waeren heute manche kleinen froh wenn sie ein Kevin waeren.

  5. waldstern schreibt:

    Ja die Vornamen, Theo ist seit 2005 wieder im kommen.

    Interessant finde ich ja bei der Vornamensgebung die dahinter stehende soziologische Zugehörigkeit; nicht umsonst sagen ja Lehrer, der Vorname Kevin ist kein Vorname sondern eine Diagnose.

    Ich hätte mir damals nie gedacht, dass es so schwierig ist, den richtigen Vornamen zu finden. Insbesondere schockierte mich seinerzeit, dass meine Ehefrau grundsätzlich nur Namen vorschlug, die in den Top-Ten vertreten waren. Ich wollte einen etwas außergewöhnliche Namen, da auf unserer Hochzeit ein Vorname in der Gästeliste siebenmal vertreten war. Die Namensfindung war insofern ein harter Kampf.

    In dem berühmten Film mit Meg Ryan „When Harry Met Sally“ gibt es eine Szene, wo er sie fragt, ob sie schon einmal guten Sex hatte. Sie sagte ja. Er fragte, wie hieß er. Sie antwortete Volker. Er meinte, Volker gibs mir, Volker machs mir, klingt nicht überzeugend.

  6. Frau Geh schreibt:

    Wir sind auch grade in der Namensfindungsphase… für Zwillinge *seufz* (Also, über die Zwillinge freue ich mich natürlich, aber diese Namensuche…. ;))

    Mein Partner bringt solch nette Vorschläge wie „Hans und Gretel“, „Max und Moritz“, „Willy und Maja“…. und dabei dachte ich bisher, dass nur die Schwangere selbst von Schwangerschaftsdemenz und -geschmacklosigkeit befallen würde?!
    Nunja, immerhin sind wir uns bei Destiny, Cheyenne, Shanaya und co einig 😉

  7. streepie schreibt:

    Mein Schwager hat kurzerhand die Golfranglisten zu Rate gezogen. Nein, der Sohn heisst nicht Tiger. Auch nicht Ernie. Aber die Tochter heisst Annika.

    Dafür haben wir eine Katharina. Allerdings ist der Name nicht so ganz „auslandstauglich“ – in Südafrika wurde sie zu Catherina, in Frankreich zu Katarina oder Catarina.

  8. kriante schreibt:

    Also Frau Freitag mag den Namen Rosa ganz gerne….

  9. FrauL schreibt:

    Nein! Ihr Favorit ist Victoria-Estrelll, das klingt so königlich.

  10. twonky schreibt:

    Zur Abschreckung: Auf der Seite http://chantalismus.tumblr.com/ sammelt ein Blogger ganz spezielle Kindernamen

  11. 'ne mama schreibt:

    Wie witzig! Wir hatten das, als Kind1 in der ersten Klasse war (buntgemischte Berliner Schule). Kam nach Hause und beschwerte sich über seinen Namen (nix ungewöhnliches, mittelverbreiteter Klassiker mit biblischem Hintergrund). Er wolle bitteschön einen deutschen Namen haben. „Was denn zum Beispiel?“ . „Na, einen ganz normalen deutschen Namen halt. So wie Berat oder Osman!“

  12. Martha schreibt:

    Diese Namensgebung scheint ein weitgehend großstädtisches Phänomen zu sein. Wir haben unsere Tochter damals aus gutem Grund Almut getauft (falls wir mal in eine Großstadt ziehen sollten und sie da ein Gymnasium besuchen sollte 😉 ) und wurden oft belächelt. Hier in der Kleinstadt bleibt man mit den Namen auf sicherem Grund. Die Kindernamen sind oft langweilig, aber unspektakulär. In der Großstadt ist es für eine bestimmte Gesellschaftsgruppe ja schick, solche Namen zu verteilen, mit dem tiefergelegten Golf ins Nagelstudio zu fahren und dann Cheyenne-Chastity zu McDonalds auszuführen. Ich finde die Namen der Migrantenkinder übrigens oft zemlich schön…

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