„Komm mal schnell her, Frl. Krise!“ Frau Herz winkt mir zu. Sie steht am Fenster der Mensa und scheint etwas Sehenswertes auf dem Hof zu beobachten.
„Nö, lass mich mal in Ruhe essen!“ Was soll da schon sein! Schüler im Regen, was sonst. Außerdem habe ich Halsschmerzen, mir ist kalt und ich erhoffe mir Besserung durch das Löffeln einer heißen Gemüsesüppe.
„Aber Deine prügeln sich, d.h. die gehen alle auf einen los!“
Seufzend erheben ich mich. Das soll nun Pause sein, danke schön auch.
Was ich daußen sehe, stimmt mich nicht heiterer: Erol wälzt sich in einer großen Pfütze, Gürkan hängt an Tians Hals, Osman und Hamudi springen gerade auf die beiden drauf, Kerem trudelt etwas unsicher um das Jungenknäuel herum und Musa feuert die ganze Bagage an.
Ich reiße das Fenster auf und höre noch „Hurensohn“, „ficke deine Mutter“, „gehe in dein Land zurück“, „Missgeburt“ und ähnliche Nettigkeiten.
Ich sondere lautstark diverse Kommandos ab und erreiche sozusagen fernmündlich einen sofortigen Abbruch der Feindseligkeiten.
„ Gürkan, Tian, Osman und Hamudi! Kommt ihr mal bitte auf der Stelle rein!!“
Natürlich kommen ALLE mit. Man könnte ja was verpassen. Ich scheuche die Nicht-Gerufenen wieder nach draußen.
Dann erzählen Gürkan und Hamudi, dass Tian ihnen einen Nackenklatscher gegeben habe.
„Aber das war doch wegen gestern, weil sie mir… und weil sie mir heute in Sport ‚dreckiger Chinese‘ gesagt habt!“ verteidigt sich Tian. (Er ist Vietnamese).
„Ja, aber er hat mir auch Kanake gesagt!“ schreit Osman.
„Mir hat er ‚ehrloses Kind‘ gesagt!“ schluchzt Gürkan, der mühelos Krokodilstränen produziert.
Konflikte von gestern aufzurollen ist absolut aussichtslos. Da gab es inzwischen so viele „Da habe ich gesagt“ und „Da hat er mir gemeint“ , dass man nichts mehr klären kann.
„Also, Schimpfwörter auf allen Seiten!“ stelle ich fest. „Da seid ihr sozusagen quitt! Aber was war das mit ‚gehe in dein Land zurück‘, Gürkan? Das hast du zu Tian gesagt! Wo ist denn DEIN Land, Gürkan?“
„Na, hier!“ sagt Gürkan verwirrt.
„Und wo ist Tians Land?“
„In Chi …äh…ich weiß nicht, wo ist er geboren?“
„In Berlin, du Spast!“ Tian grinst.
„Wo soll er denn dann deiner Meinung nach hingehen?“ frage ich Gürkan.
„Äh… na ja…hab ich doch auch nur so…aber er soll mir nicht ‚ehrloses Kind‘ sagen, Frl. Krise! Und er hat mir …“
‚Ehrloses Kind‘ gefällt mir! Ich muss mir das Lachen verbeißen.
Im Unterricht ist dann alles vergessen. Hatte jemand Streit? Nee, oder?
Tian quatscht friedlich mit Hamudi, Osman ärgert Musa und Gürkan zankt sich ein bisschen mit Erol.
Die einzige, die mal wieder rumstresst, bin in den Augen der Schüler ich.
Arbeitsblätter ausfüllen! Voll langweilig! Es geht um die Anrede in Brief oder Email.
„Schreibe ich ‚Lieber Herr Zalando‘ oder ist das eine Frau?“ will Hülya wissen.
„Nein, du musst ‚Geehrter Herr Zalando‘ schreiben!“ verbessert sie Osman.
„Und wenn ich den nich leiden kann, den Zalando oder die? Ich meine wegen dem ‚geehrten‘!?“ fragt Tian.
Bevor wir das aufklären können, springt Gürkan auf: „Frl. Krise! Frl. Krise! Warte ma‘! Ich hab noch eine Frag! Aber rasten Sie nicht gleich aus! Versprechen Sie! Was schreibe ich, wenn, äh…wenn…ich…äh…“
„Ja, was denn? Nun sag schon!“
„Ja, Frl.Krise, ich wollte wissen, was schreibe ich, wenn ich an eine Transe schreiben will?“
40 Jahre Pubertät habe ich hinter mir…
Aber diese Frage war mir neu.
Und? Was schreib ich da? 😉
„Sehr geehrte Dame oder Herr“, wenn man sich nicht sicher ist?
oder einfach „sehr geehrte damen und herren“ in der mehrzal kommt das nicht so peinlich an 😀
Super geil! Ein Kind ohne Geschlechtsidentitäsnorm
Was für eine Definition von „Ehre“ ist das wohl… so sie denn eine haben…
Ja und was schreibt man dann???
Sry, lieg vor lachen unterm Tisch!
Huch… so blöd ist die Frage gar nicht mal, ich wüsste es nämlich auch nicht *g*
Das ist mal wirklich eine gute Frage.
Zalando müsste aber doch weiblich sein, oder? Allein wegen der Menge an Schuhen, die es dort gibt…
> .. Tian. (Er ist Vietnamese)..
Nicht Deutscher ?
DOOOOOCHHH! Ich meinte die Herkunft….!
Eine/n Transgender ,der sich in dem geborenen Geschlecht nicht wohlfühlt ,und ein Leben im andere Geschlecht führt (beruflich,privat etc), spricht man in dem won ihm/ihr gewählten Geschlecht an. (meistens finden in solchen fällen, je nach medizinischen Faktoren, aufwendige geschlechtsumwandlungs-prozeduren statt… Hormone, Primäre Geschlechtsorgane) Allerdings hat dann die Anrede nicht erst zu wirken, wenn die Umwandlungs in unserem Sinne als vollzogen betrachtet wird.
Bei Transvestiten sieht das ganze etwas schwieriger aus. Da diejenigen es meist nur als beruflichen Künstlernamen oder ganz und gar privaten inoffiziellen geschlechtsumgekehrten „Spitznamen“ führen ist hier offiziell nur das tatsächliche /im Pass eingetragene Geschlecht/ Name zu verwenden. Allerdings sieht es in der Praxis so aus dass derjenige als Frau angesprochen wird, wenn er sich gerade in eine verwandelt hat oder man explizit seine weibliche Seite anzusprechen gewillt ist.
Ja toll. Das hilft mir jetzt auch nicht weiter*gg
Ist es jetzt Olivia Jones, die IHRE Brüste mit in den Dschungel nimmt oder Oliver Knöbel, der SEINE Brüste mitnimmt? Sowas hat man uns auf Günnasiunsschule nicht beigebracht*heul*gg
P.S.: die Frage meine ich durchaus ernst
Kommt auf den Anlass an.
Wenn es irgendwas ist, was mit der Kunstfigur Olivia Jones zu tun hat, ist die weibliche Form durchaus legitim. Geht es um den Privatmensch und Bürger Oliver Knöbel, ist es natürlich die männliche. Und da Oliver Knöbel durchaus als Olivia Jones in den Dschungel gezogen ist, sind es tatsächlich IHRE Brüste, die sie mitgenommen hat. *lach*
Kommt drauf an, ob er einen Transsexuellen meinte oder einen Transvestiten anschreiben will 😉
Genau, so hätte ich wohl auch geantwortet. Reaktion wäre bestimmt „Häääh?!“ gewesen, weil die Kids natürlich keinen blassen Schimmer haben, worin der Unterschied besteht – wobei Betroffene oft den Begriff „Transidentität“ bevorzugen.
Hihi!
Die Antwort auf die Frage hätte ich wohl auch gern gewusst.
LG Lotti
der, die das wird ja heutzutage völlig überbewertet! Die Jugend von hier und jetzt sagt doch „Alter“ 😉
Lieber Herr Zarlando, sehr geehrte Frau Amazon, liebes Fräulein Transe,…
Ich schmeiß mich weg. Gender ist angekommen.
Wenigstens haben sie alle gemerkt, dass man nicht Hey Alda schreibt.
*Gicker* Man lernt eben nie aus.
Hmm, man sollte Gürkan mal fragen, warum er ausgerechnet an eine Transe schreiben will. Wenn er schon so fragt, scheint sich ja etwas abzuzeichnen. Was im übrigen nicht gerade eine sehr seltene Vorliebe ist bei türkischen eigentlich schwulen Jungs/Männern. (Ich gehe mal davon aus, dass der geänderte Name zumindest die…ja wie sagt man denn…Nationalität passt ja in dem Falle nicht wirklich…na sagen wir mal den „Volksstamm“ des Schülers angibt.) Gibt es in deinen Klassen eigentlich noch „Wurzeldeutsche“? Sonst könnte man meinen, Frl Krise ist an der Otto-Hahn-OS, da gibts nämlich fast gar keine deutschen Kinder, dafür viel chaos, was ich mitbekommen hab.
Ach neee, Transen sind bei allen Objekte der Neugier!
Und Wurzeldeutsche? In meiner Klasse zwei.
@Thommi: Was soll der Satz:<> Zu viel Necla Kelek gehört und gelesen???
CHAOS? Nee, Chaos gibt es nicht. Bei uns ist alles gut organisiert und schulische Probleme müssen ja nicht „Chaos“ bedeuten.
wenn man sich nicht sicher ist, gendern man komplett:
sehr geehrte_r mitarbeiter_in (oder was auch immer)
aber damit würde ich schülern nicht kommen; die differentierungen zwischen binnen-i, unterstrich und „/“ bzw. „(in)“ sind dann doch zu abstrakt 😉
„gendert“ natürlich… kommt davon, wenn man beim essen schreibt 😀
Köstlich! 😀 😀
Und, wie haben Sie’s erklärt?
und sowas bekommt man dann bald nicht mehr zu lesen, wie schade!
Huch, da bin ich ja jetzt doch schneller mit dem Lesen durch als gedacht. Nun kenne ich alle Einträge (sowie viele Kommentare) und hoffe, dass dieses Blog noch länger so schön lebendig bleibt, auch wenn die Karriere bald zu Ende geht. Vielen Dank für alle bisherigen Einträge!