Noch ist es neblig…

Haben wir erst seit ZWEI Tagen wieder Schule? Seit zwei Tagen? Fühlt sich an wie zwanzig.
Komisch, dass man in den Ferien immer vergisst, wie platt man nach so ein paar läppischen Stündchen sein kann.
Los gings heute mit meinem Frühstück, das, wie gestern auch, ausfiel. Lieber schon um Viertel nach sieben statt erst um halb acht aufs Fahrrad klettern, damit noch keiner am Kopierer steht, wenn man kommt! Diese schlaue Idee hatte natürlich schon jeder dritte Kollege. Am Schuljahresanfang sind alle noch so voll übertrieben vorschriftsmäßig drauf!
Gut, dann eben nicht kopieren und hurtig an den Computer, Fotos ausdrucken. Mein Drucker zu Hause hatte das gestern Abend höchst unsolidarisch verweigert. Der in der Schule wollte aber auch nicht und erst als Karl kam und ihn scharf ansah, schlug er seine Hacken zusammen und druckte, was das Zeug hielt.

Morgenkreis in der ersten von fünf Stunden, die Karl und ich heute in unserer Klasse hatten.
Die amorphe Kindermasse, die noch am Montag vor uns saß, hat sich schon zu Gunsten vieler kleiner Einzelpersönlichkeiten aufgelöst.
Karl und ich kennen bereits alle Namen. Das muss sein! Unterrichten ohne Namen geht gar nicht! Namen wissen ist Selbstverteidigung. „Hallo, du da hinten in der blauen Jacke…“ ist so ziemlich das Hilf- und Fruchtloseste, das ein Lehrer von sich geben kann.
Unsere Kinderlein sind allerdings nicht vom Drang beseelt, sich gegenseitig zu benennen, „Die da“ oder „Der Eine“ reicht manchen manchmal jahrelang.

Was soll ich sagen über unsere Schüler nach zwei Tagen? Sie sind anders drauf als unsere alte Klasse. Anders… ob besser, wird sich zeigen…
Musa und Hamudi sind am auffälligsten, immer noch.
Kadir ist das Gegenteil von dem überdrehten Hamudi, gemütlich und ohne jede Körperspannung.
Gürkan hat etwas ganz Eloquentes, ist modisch gewandet (kleines blaues Strickjäckchen a la Yogi Löw), Klasse kehren findet er unmännlich und unter seinem Platz liegt eine kleine Müllhalde.
Wo Tians Vorfahren herstammt, weiß ich noch nicht, auf jeden Fall aus Asien. Er scheint sehr nett, zu sein, ist aber nicht gerade der Aufmerksamste. Aber er benutzt das Wort ‚danke‘!
Rifar ist verträumt und still – oder gelangweilt und uninteressiert? Keine Ahnung.
Auch Osman – schwer zu sagen – das kann gut gehen oder auch nicht. Ansätze sind in beide Richtungen sichtbar.
Die Mädchen sind freundlich, aber bisher eher konturlos. Hülya ist ein bisschen zickig und legt sich mit jedem an, Derija selbstbewusst und Miriam sieht aus wie Frida Kahlo.

Noch hat sich keine/r direkt in mein Herz gemogelt, wie es manchmal gleich zu Beginn passiert.
Nur Musa, der fast die dickste Akten des ganzen Jahrgangs aus der Grundschule mitbrachte, scheint mir schon eine unsichtbare Hand zu reichen. Er hat auf jeden Fall Humor und ein ansteckendes Lachen, kann aber auch richtig gemein sein. Heute morgen hat Karl die erste Mathestunde gehalten. Als Musa die Aufgaben sah, hatte er plötzlich die nackte Panik in den Augen. Der Arme. Ich wusste, wie der sich fühlte…
Mit Musa wird es schwer werden.

So eine neue Klasse ist wie ein Überraschungsei. Man ist neugierig, schüttelt es und weiß doch nicht, was drin ist.
Erst wenn man den Inhalt ganz ausgepackt und die Einzelteile verstanden hat, kann – vielleicht – etwas daraus werden…

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24 Antworten zu Noch ist es neblig…

  1. Frau Falke schreibt:

    Nach zwei Tagen alle Namen zu kennen ist äußerst bewundernswert. Ich muss immer alle mit Namensschild fotografieren und brauche dennoch die erste Woche plus Wochenende…

  2. Frau K. aus M. schreibt:

    Ich drück die Daumen, dass in dem Überraschungsei was tolles drin ist und dass das mit dem Zusammensetzen schnell klappt!!!
    Die Beschreibungen der einzelnen Schüler hören sich schon mal gut an. Das kann eine tolle Klasse werden! Und auf Musas Entwicklung bin ich schon gespannt, der klingt vielversprechend.
    Wow, nach zwei Tagen alle Namen kenne schaffe ich selten, da brauch ich auch mindestens eine Woche für meine eigene Klasse und für alle weiteren Schüler (habe so um die100 neue Schüler dieses Jahr) brauche ich bis zu den Herbstferien (und danach hab ich die Hälfte wieder vergessen 😉 ) Aber es soll ja Kollegen geben, die nach zwei Jahren die Namen immer noch nicht können…

  3. fraudehnertsallerlei schreibt:

    Bei uns konnte damals NIE ein Lehrer nach zwei Tagen alle Namen! Respekt, Frl. Krise! 😉

  4. Mel schreibt:

    ja, finde ich auch! Ich konnte von meinen 6 Kursteilnehmern (die ich aber nur 1x die Woche sehe, VHS, Analphabeten) auch erst nach so 3-4 Wochen einigermaßen die Namen! wenn ich mir vorstelle, ich müsste eine ganze Klasse auswendig lernen, und das in 2 Tagen..oh oh!

  5. fraufreitag schreibt:

    namen können…wen willst du denn damit beeindrucken? aber klasse wie überraschungsei…stimmt erst freut man sich, haut sich die schockolade rein und der rest ist immer schrott – was immer das auch heißt. heute nicht den jugendknast versäumen. ich möchte da arbeiten -„der herr möchte wieder in seine zelle…“

  6. Olaf schreibt:

    > Was soll ich sagen über unsere Schüler nach zwei Tagen? Sie sind anders drauf als unsere alte Klasse. Anders… ob besser, wird sich zeigen… <

    Miss Krise,

    hier habe ich etwas für Sie (nicht wirklich neu):

    https://www.google.de/search?q=%C3%BCberraschungseier&oe=utf-8&aq=t&rls=org.mozilla:de:official&client=firefox-a&um=1&ie=UTF-8&hl=de&tbm=isch&source=og&sa=N&tab=wi&ei=s6giUPqmK4WB4gTo4oGABg&biw=1280&bih=522&sei=tqgiUPrVGsbctAaGpYG4Bw

    Seien Sie nicht so pessimistisch. Zugleich be aware.
    Musa (Mit Musa könnte es vielleicht schwer werden), Hamudi, Kadir, Gürkan, Tian, Rifar und Osman – bis hier waren es die Jungs…
    Hülya, Derija und Miriam – "sieht aus wie Frida Kahlo" – hier ein optischer Tip:

    https://www.google.de/search?q=frida+kahlo&oe=utf-8&aq=t&rls=org.mozilla:de:official&client=firefox-a&um=1&ie=UTF-8&hl=de&tbm=isch&source=og&sa=N&tab=wi&ei=0aoiUJ7NCeag4gSJmIGoBA&biw=1280&bih=522&sei=1aoiUKnhLI3ysgbKrIDIDw

    Wenn die Sonne steigt, weicht der Nebel ("Erst wenn man den Inhalt ganz ausgepackt und die Einzelteile verstanden hat, kann – vielleicht – etwas daraus werden…" Das ist tatsächlich wie beim Überraschungsei. Sehr schön, basteln Sie beide on, die Inhalte von Überraschungseiern sind nicht so schwer zusammenzufrickeln, die "Umhalte" aus Milchschokolade schmecken immer gut ;-]) .
    Schon wieder und noch weiter bin ich gespannt – während der Nebel weicht, steigt die Spannung… 😉

    Alles Gute in Ihre kleine Stadt und große Schule !

  7. muttimeckert schreibt:

    Ich halte die Daumen, dass Miriam ähnlich talentiert ist wie Frida Kahlo jedoch ohne deren vielfältige (auch gesundheitliche) Probleme.

  8. nadineswelt schreibt:

    Kadirs Beschreibung ist irgendwie Ömür… oder ist da nur die Hoffnung Mutter/Vater/Schwester der Gedanken?
    Aber nach 2 Tagen alle Namen? Respekt! Manche Lehrer konnten die nach 4 JAHREN nicht.

  9. rotezora. schreibt:

    Da muss ich doch mal den alten Storm bemühen:

    Der Nebel steigt, es fällt das Laub,
    schenk ein den Wein, den holden,
    wir wollen uns den grauen Tag
    vergolden, ja, vergolden.

    Und geht es draußen noch so toll,
    unchristlich oder christlich,
    ist doch die Welt,
    die schöne Welt
    so gänzlich unverwüstlich.

    Theodor Storm, Oktoberlied. Wenn man in der zweiten Strophe Welt = Krise setzt, ist es genau das, was ich dir für das letzte Jahr wünsche.

    Viele Grüße von der

    rotenzora

  10. Wild Flower schreibt:

    Wow, Respekt fürs schnelle Lernen der Namen…

  11. Ulla39 schreibt:

    <> Was für eine sympathische Einstellung! So schreiben Sie auch über die Ihnen anvertrauten Kinder und deshalb lese ich so gern Ihren Blog.

    • Ulla39 schreibt:

      kopiert hatte ich : „Die amorphe Kindermasse, … hat sich schon zu Gunsten vieler kleiner Einzelpersönlichkeiten aufgelöst“. Auch verschluckt worden, nur die sind erschienen.

  12. Judith schreibt:

    „Los gings heute mit meinem Frühstück, das, wie gestern auch, ausfiel.“
    Da hab ich mich doch glatt an meinem Frühstück verschluckt vor lachen 😉
    Schön, dass Sie wieder da sind, Frl. Krise!

  13. Pensionist schreibt:

    Solange Miriam nicht aussieht wie Hilde Benjamin…

  14. freudefinder schreibt:

    ist ja auch mal spannend, wie ein Lehrer sich eine Klasse erobern muss. Aber wie schön, dass beide Seiten offensichtlich so offen ran gehen.

  15. konsumrebellin schreibt:

    Sehr lustig geschrieben, aber ich muss als kinderlose Nicht-Lehrerin (die Ihren Blog noch nicht so lange verfolgt) doch mal eine wahrscheinlich ganz blöde Frage loswerden: Gibt es in Ihrer Klasse denn gar keine deutschen Schüler?

    • D-Lehrer schreibt:

      D=deutsch (bitte den vorangehenden Blog-Eintrag lesen)
      😉

    • rhadamanthys schreibt:

      Schwierige Frage. Den deutschen Pass haben die meisten, einen traditionellen deutschen Namen, wobei das ja auch meist „ausländische“ sind, die wenigsten.
      Als was die sich selber sehen, wissen die höchstens selber, für viele sicher schwierig zu beantworten.

  16. Tine schreibt:

    Wissen Sie, was ich an Ihrem Blog mag: Man spürt eigentlich in jedem Beitrag, dass Sie Ihre Schüler mögen. Klar gibt es Tage, wo man die „lieben Kleinen“ am liebsten wegschließen möchte, aber der Grundton ist so positiv!!! Schön!

  17. Madame Chaos schreibt:

    Ich bin gespannt ob die Mädchen so freundlich bleiben wie sie sind 😉 Vielleicht hält bei denen nur die „Schockstarre“ länger an 😉

  18. Stephan schreibt:

    Name! Ich bewundere Euch Lehrer dafür! Ich brauche bei einer Klasse gefühlte 2 Wochen, bis ich mir die Namen merke!

  19. Günneke Fitz schreibt:

    Hehe, Miriam trägt Damenbart?

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