Wir sitzen im kleinen Kunstraum. Hier oben im 4. Stock ist es gemütlich. Es gibt nur Kunsträume und unsere beiden Klassensäle und das ist gut so. Den kleinen Kunstraum betrachen wir eigentlich auch noch ein bisschen als unser Eigentum – inklusive des Materiallagers, versteht sich.
Die Fenster sind weit geöffnet, der Himmel ist blau, aus unserem CD-Player schallt laute Musik, alle pinseln liebevoll lachende Flowers nach Takashi Murakami, ich grundiere eine Leinwand und der Unterricht fühlt sich so an, als drehten wir gerade den Trailer für eine Dokumentation bei Arte: “ Die Kunst des guten Unterrichtens.“
„Frl. Krise, meine Entschuldigung!“ Ömur reicht mir einen handgeschriebenen Zettel.
„Was hattest du denn?“
„Halsentzündung. Mit Antibiotikum!“
„Kommt bestimmt von Entzug von Döner!“ sagt Erkan.
„Echt jetzt? Gibts so was?“ Ömür scheint geneigt zu sein, das zu glauben.
„Quatsch!“ sage ich. „By the way…Was macht denn deine Abnehmerei?“
„Ich trinke nur noch ein Glas Cola jeden Tag und esse auch nicht so viel Fertiggerichte.“
„Kocht deine Mutter nicht? Was isst die denn? Die ist doch ganz dünn?“
„Frl.Krise! Die isst fast nix. Gestern hat sie aber gekocht, so Pfannkuchen.“
Hm. Das hört sich nicht gerade sehr erfolgsversprechend an!
„Ich gehe doch jetzt Türkei! Dann bei der Familie von mein Vater, ich muss voll übertrieben essen.“ Ömür stöhnt. „Meine Oma! Was die kocht. Und mein Vater!“
„Ist dein Vater in Türkei?“ fragt Sam.
„Hmmm…. meine Eltern sind geschieden, ich hab nix von mein Vater in meine Kindheit,“ sagt Ömür betrübt. Das Schlimmst für ihn ist, dass er keine Geschwister hat.
„Frl. Krise, ich gehe alleine Türkei! Meine Mutter hat kein Geld. Mein Vater bezahlt nur mir. Erst nach Ankara, zu mein Onkel, aber nur ein Tag, dann mit Reisebus nach Osttürkei. Mein Onkel ist türkischer Gesundheitsminister!“
„Was?“ Wir schreien alle auf. „Du lügst!“ schreit Hanna, die immer alles mitkriegt.
„Vallah! Zeigen!“ befiehlt Fuat und ich fahre sofort den Computer hoch.
Tatsächlich. Der Mann heißt genau wie Ömür, ist allerdings nicht der Gesundheitsminister, sondern ein sehr hohes Tier im Ministerium.
„Bruder von mein Vater!“ sagt Ömür. Wir schweigen ergriffen.
„Ist dein Vater auch so was?“ fragt Fuat.
„Nee, mein Vater ist nix!“ sagt Ömür.
„Er hat doch einen Beruf!“ sage ich.
Ömür nickt. „Koch. Der kann voll übertrieben gut kochen, ich schwörs. Aber er arbeitet nicht mehr.“
Ömür blinzelt mich an und ich blinzel zurück. Wir beide kennen den Grund. Die anderen fragen zum Glück nicht nach.
„ Voll berühmt, dein Onkel! Du musst auch so was werden!“ feuert Necla Ömür an.
„Ich kommt nich nach mein Onkel, ich kommt nach mein Vater, leider!“ sagt Ömür.
„Ach was! Ömür ist Ömür!“ sage ich, „und wer weiß, was aus dem noch alles werden kann!“
„Er kann auch voll dünn werden,“ meint Necla, „dann siehst er bestimmt voll süß aus.“
„Und wenn er voll berühmt ist, kommt er ins Fernsehen!“ Gamze setzt sich neben ihn und guckt ihn an, als ob sie ihn zum ersten Mal sähe. Kann außerdem nicht schaden mit einer zukünftigen Berühmtheit in eine Klasse gegangen zu sein!
„Vallah! Du kriegst voll Bart!“ schreit sie auf einmal.
Wir recken unsere Hälse! Wirklich! Auf den zarten runden Wangen wachsen einzelne lange Haare! Ich fasse es nicht…
Ömür lächelt verlegen und legt seine Hände schützend über die ganze Pracht.
Von einem Vollbart ist er aber zum Glück noch weit entfernt…..
Ach Ömürcüğüm, ich fürchte, ich weiß, wie man Dich mit Essen traktieren wird – durchaus leckeres Essen, aber die Mengen, die einem ungefragt auf den Teller gehäuft werden! Ich habe mich damals mit vorgetäuschten Lebenbeschwerden ( ja, ja, man soll ja ehrlich sein) gerettet, habe aber keine Idee, wie Du Dich „retten“ könntest. Mach’s Beste aus der Reise in die Türkei und komm‘ gesund wieder! Entschuldigung, liebe Krisi, daß ich in Ihrem Blog das Wort an Ömür richte, aber ich habe das Gefühl, daß ich ihn gut kenne und sehr mag und ihm halt was sagen möchte.
Kein Problem! Ich gebs weiter!
Ömür ist gut. ich mein, so wie Sie ihn beschreiben, Frl. Krise, scheint er auch glaubwürdig. Und wenn er keinen normalen Beruf ausreichend schafft, könnte er ja Politiker werden. oke, Spaß. vllt. auch was im sozialen Bereich oder Commedy.
Weiß er eigentlich, wie berühmt er jetzt schon ist???
Auf keinen!
pahhhh ins fernsehen. frensehen…schmernsehen…. au backe der regen… was wird aus mein GRILLEN MORGEN???
lecker Lehrer grillen!
nein, die machen Schülergrillen!
Grillen? Wir grillen morgen gegen abend auch, aber wir haben Lehrergrillen…hm, lecker…!
Ach Ömür. Ich seh es schon kommen, dass ihm irgendwann die Herzen der jungen Damen nur so zufliegen werden.
alle unter 1,63 cm…!
Ohje. Das könnte ein Problem werden… Ömür erinnert mich an Ritter Sport: Quadratisch, praktisch, gut. 😉
Hab mich grad Ähnliches wie fraufreitag gefragt (und glaube mich daran erinnern zu können, daß Sie es bereits erwähnten): Wissen die Schüler eigentlich, wie berühmt sie bereits sind?
No! No! NO!
ich würde ja vermuten dass frau freitags schüler ja was ahnen könnten….aber vlt nehmendie sowas auch garnicht war?
die nehmen auch das geschriebene Wort nicht wahr, wie meine!
Diät mit Cola und Pfannkuchen. Sehr interessant. 🙂 Vielleicht wäre es gar nicht schlecht , wenn der Onkel tatsächlich Gesundheitsminister gewesen wäre.
Ich hätt‘ jetzt auch gerne eine Packung Malteser.*seufz*
Wie überlebt man diese grauenhafte Schülergrammatik? Ich bewundere Sie sehr, Frl. Krise, und all‘ die anderen Pädagogen an der Bildungsfront, Sie sind alle sehr tapfer.
Ömür erweckt in mir ganz viel Hoffnung! Er ist nicht dumm, im Gegenteil, ist gewillt sich zu bemühen und zeigt Interesse an seinem Umfeld (hat er doch vor einiger Zeit sogar eine Podiumsdiskussion besucht). In meiner früheren Nachhilfegruppe habe ich viel mit Kindern mit Migrationhintergrund gearbeitet und besonders die Grundschulkinder sind mir sehr positiv in Erinnerung geblieben. Diese Kinder werden nur leider allzu oft zu dem, was sich unsere Gesellschaft aus ihnen zu machen erlaubt. Sarrazin würde sagen, Türken und Araber sind faul. Ich glaube: Gamze, Erkan und Necla haetten die gleichen, unvoreingenommenen Chancen verdient, wie jedes urdeutsche Kind, denn wenn viele sagen „Einer“ kann sowieso nichts, dann hält „Einer“ das auch gern schützend, entschuldigend vor sich Sich selbst muss man schließlich selten etwas beweisen…
Danke!
Och Ömür.
Darf man fragen, was mit seinem Vater ist (bzw, warum er nicht mehr arbeitet)?
Nebenbei: Toller Blog!
Danke! Aber zu Ömürpapa: nein…
Die Frage lag mir auch aif den Lippen …
Sie könnten ihn ja mal sagen, das der Süßstoff in der Diät-Cola in der Schweinemast verwendet wird, sowas macht garantiert nicht dünn 😉
elvae, da steht nichts von „Diät-“ in Frl. Krises Bericht. Nur die echte ist die wahre und macht bestimmt genauso dünn wie die lighte Coke. 😉
Könnte fast eifersüchtig werden auf kleine dicke Schülerchen, grins…. die wissen garnicht zu schätzen wie gut Sie es haben! Grűßchen
Aber ihre Jören haben es auch soooo jut…!
frl freizeit auch real life kollegin oderwie?
(halbtagsschule???) 😉
jugend-club!
Hallo,
ich habe vor ein paar Tagen ihr Interview für Spiegel online oder war es stern.de gelesen? Sehr spannende und interessante Geschichten. Beiden Daumen hoch und weiter so.
mfG
SPON
Stefan Gärtner über SPON
http://www.titanic-magazin.de/stefan-gaertner-leitmedium.html
hey yo checken des dein schuler net dass du vol fett tagebuch uber die machen tust
die sind doch vol aggro ey
als ich krass gymnasium ghetto war hab ich lererr vol krass kick in fresse gegeben weil er gedenkt hat er kan einfach so foto von mir internet tun
wegen dathenschuz und so
Hallo Frollein Krise,
eine sehr schöne Geschichte, wie immer vielen Dank – von irgendwoher wußte ich, daß Ömür mein Held ist ! Und er wird es wohl auch bleiben. Bitte richten Sie ihm auch meine Grüße aus – auf irgendeinem Weg, der paßt.
Was macht Emre ? Und Frau Merkel ? 😉
„Der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und Behinderten bei Nebel durch unwegsames Gelände in nordsüdlicher Richtung zu führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei verschiedenen Zielorten ankommen.“
Weiter so! 😉
Oh ja, die Freuden des Binnendifferenzierens…
Hoffen wir mal, dass Ömür ein Wachstumsschub bei seiner Diät zu Hilfe kommt 🙂
Ich kommentiere nun einfach mal mit einer Ihrer Kategorien: „wie süß!“