Nicht zur Nachahmung empfohlen!

Auf der Treppe sitzt Tolunay aus der Sieben und schluchzt. Alle Schüler laufen achtlos an ihm vorbei, nur Erkan steht neben ihm und guckt hilflos.
„Was hat er denn?“ frage ich.
Keine Antwort. Erkan klappert mit den Augendeckeln und schweigt.
„Tolunay, was ist los?“ frage ich ein bisschen ungeduldig. Zeit für großartige Verhöre habe ich nämlich nicht. Den Krach, den meine Theatergruppe im zweiten Stock produziert, höre ich bis hier unten. Hört sich genau genommen so an, als ob sie gerade dabei wären, eine der Glastüren mit Gewalt zu zerdeppern.
„Wegen sein Opa!“, flüstert Erkan und formt lautlos mit seinen Lippen ein Wort, das ich nicht verstehe.
Tolunay schnieft, zuckt mit den Schultern, springt auf und stürmt in Richtung Ausgang. Erkan trudelt hinterher.
Na gut! Kann ich auch nichts machen! Wird schon nicht so schlimm sein! Ab in den Unterricht.

In der Mittagspause schlendere ich über den Schulhof. Der Himmel ist auf einmal knallblau, die Sonne scheint schüchtern für ein paar Minuten, eine zarte Schneedecke zaubert einen Hauch von Winterurlaub und Tolunay überholt mich pfeifend. Er grinst mir zu.
„Wieder gut?“ frage ich kurz und sachlich. Bei den Jungen muss man aufpassen, die werden nicht gerne auf Situationen angesprochen, in denen sie die Contenance verloren hatten.
„Hm. Mein Opa!“ Tolunay bleibt stehen und titscht seinen Fußball zwei-dreimal auf. „Er ist gestorben. In Türkei!“
„Oh, das tut mir aber leid, Tolunay!“
„Braucht Sie nich leid zu tun, Frl. Krise! Ich kannte ihm gar nicht. War der Vater von mein Vater und mein Vater seh ich doch fast nie.“ Tolunay hat eine deutsche Mutter, die mit ihm mehr oder weniger alleine lebt.
„Aber du warst doch so traurig vorhin…“
„Was traurig! Ich war nicht traurig. Nicht wegen mein Opa! Ich war voll wütend! Wegen mein Vater!“
„Ach so…!“
Tolunay läuft schweigend neben mir her. Dann faucht er: „Wegen dem iPhone!“
Ich verstehe mal wieder nur Bahnhof.
„Meine Mutter hatte gesagt, wenn mein Opa stirbt, erbt mein Vater voll viel und dann bekomme ich ein iPhone. Mein Opa ist…äh… war voll alt. Er hatte Herz. Er hatte großes Haus und so. Aber dann ist er gestorben und mein Vater meinte mir jetzt, er hat nicht viel geerbt.“
„Ach…und du bist ganz enttäuscht von deinem Vater.“
Tolunay nickt und schluckt. Dann schüttelt er den Kopf: „Janein.. sauer… weil ich kein iPhone kriege! Deshalb!“

Das Ganze spielte sich kurz vor den Winterferien ab. Ich hätte es vermutlich vergessen, wenn mir Tolunay nicht heute Morgen triumphierend ein nagelneues iPhone 5 unter die Nase gehalten hätte.
„Gucken Sie mal, Frl. Krise! Hat meine Mutter mir gekauft! Zu mein Geburtstag!“
„Wouw! Herzlichen Glückwunsch! Wie alt bist denn geworden?“
„Janein, ich hab doch erst im Juni!“
„Aber das Geschenk kam schon jetzt?“
Tolunay nickt. „Sie stellen sich nicht vor! Ich hab meine Mutter voll genervt! Übelst, vallah! Die ganze Zeit! Danach sie hat es mir gekauft!“
Ich bin platt. Diese Mutter! Ich schüttele innerlich den Kopf. Will sie so ihr schlechtes Gewissen betäuben oder ihren Seelenfrieden erkaufen?

Schon auf dem nächsten Level der Tyrannei befindet sich Deniz aus der letzten Zehn. Der fährt jetzt neuerdings einen 3erBMW. Selbiger ist aber nicht etwa durch seiner zarten Hände harte Arbeit finanziert worden. Nein, nein! Bewahre! Deniz hat keine Zeit um zu jobben. Er geht ja noch zur Schule um eventuell den Realschlussabschluss nachzuholen. Leider scheint er aber laut eigenen Angaben (Quelle:Facebook) dabei nicht besonders erfolgreich zu sein…
In anderer Hinsicht aber doch! Siehe Auto!
Ich möchte nicht wissen, was der dafür zu Hause veranstaltet hat…! Jedenfalls veröffentlichte er bei Face jetzt stolz ein Foto mit Autoschlüssel und Fahrzeugschein. Dazu schrieb er:
„Mein Vater hat mir heute 3erBMW geholt. Ich küsse seinen Augen!“

Gibt es denn kein Nachsitzen für Eltern ???

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33 Antworten zu Nicht zur Nachahmung empfohlen!

  1. renosch schreibt:

    Ah, Frl. Krise … und immer schön die Quelle angeben 🙂

  2. ich will auch iphone!!!! Maaaaaammaaaaaaa biiiittteeeee, alle haben eins, nur ich nicht!!!!

  3. Nini schreibt:

    Natürlich haben Sie recht – logisch betrachtet….nach einem Tag wie heute, einem harten, anstrengenden, desillusionierenden Arbeitstag wie heute und anschließendem Megagezicker der drei Nachwuchsblondinen (die GsD noch nicht das iPhone und 3er-BMW-Alter erreicht haben), kann ich „Seelenfrieden erkaufen“ gar nicht als verwerflich betrachten……morgen dann wieder 😉

    • Mogeister schreibt:

      Aber genau da geht es doch los! Meine Kinder haben gelernt/ lernen noch, dass nicht immer alles geht. Da muss sich ein Smart- (nicht Apfel-) Phone vom Ersparten gekauft werden, denn meine Arbeitstage sind auch anstrengend und nicht so gut bezahlt.
      Mutet doch euern Kindern (und Euch) mal etwas mehr zu. Und ja, das ist anstrengend, aber wichtig!
      M.

      • Kätchen schreibt:

        Mit Verlaub, wenn ich Nini richtig verstanden habe, war das nur so ein kurzer Impuls – nach einem nervigen Tag. Ich jedenfalls erkaufe mir meinen Seelenfrieden ganz gerne mal: Grießbrei mit Kirschen vor einer Extra-Folge Jim Knopf…. total legitim, finde ich.

      • Nini schreibt:

        Ja Kätchen, genau so war es gemeint! Bei uns geht „erkaufen“ auch nicht über das Lieblingsabendessen oder eine Folge Trickfilm hinaus 😉

      • Mogeister schreibt:

        Ja, ein bisschen Verwöhnen (Lieblingsessen, Film angucken u./o. Nacken kraulen) ist schön! Aber Grundschulkinder, die 600€ teure „Händies“ im Schulranzen herumtragen und mir begeistert „Muttiwitze“ zeigen, oh bitte nicht. Es geht um die finanzielle Overprotection, nicht um das Verbreiten von Wohlfühlstimmung!
        M.

    • Sarina schreibt:

      In welchem Jahrhundert handelt die Lehrerinnen-Story mit dem türkischen Jungen?
      Ich hätte dem Knaben schon gezeigt, wo der Barthel den Most zapft, wenn der mich
      mit „Freulein“ angesprochen hätte!

  4. Bluete schreibt:

    Die Eltern hätte man schon vor Jahren Nachsitzen lassen müssen und ich denke, dass da noch der Aspekt „türkischer Prinz“ nicht zu vernachlässigen ist. Ich stand und stehe seit Jahren staunend vor den Verwöhn- und Nachlässigkeitsorgien, die manche türkische Eltern mit ihren Söhnen veranstalten, bei türkischen Töchtern habe ich das in DEM Maße noch nie erlebt.

    • Inch schreibt:

      Ja, ich glaube, das Nachsitzen der Eltern ist versäumt worden, als die in der Schule waren. Jetzt isses zu spät. Und für die Kinder fast auch schon.

  5. C. Rosenblatt schreibt:

    >_< prima.. ganz prima

  6. Tades75 schreibt:

    Ich habe als Kind nie solche teuren Spielsachen geschenkt bekommen.
    iPhone mit 12-13 Jahren. Und das nur weil das Balg gequengelt hat.
    3er BMW, gerade volljährig.

    Entweder stammen diese Schüler aus einem asozialen Milieu oder ich bin in den falschen türkischen Kreisen groß geworden, da ich solches in meiner Kindheit und Jugend bei mir selbst oder bei anderen nie erlebt habe.
    Solch verwöhnte Blagen können doch später gar keine wertvollen Mitglieder der Gesellschaft werden.
    Entschuldigen Sie die drastische Wortwahl, für mich sind diese Typen nur scheiß Pack.
    !SORRY!

    • frlkrise schreibt:

      TADES! Wir arbeiten noch dran, dass es nicht so schrecklich wird!

    • Ulla39 schreibt:

      Na ja, weder das Eine noch das Andere, meine ich. Ihr Vater ist, wenn ich mich recht entsinne, Lehrer, inzwischen pensioniert. D. h.Ihre Eltern haben ohnehin andere Maßstäbe. Davon abgesehen, ist Ihr Vater nicht von Ihrer finanziellen Unterstützung abhängig. Wo das nicht der Fall ist, bedeutet das Gewährenlassen und Verwöhnen der Söhne vor allem durch die Mütter eine „Investition in die Zukunft“. Die Mädchen verlassen mit der Heirat die Familie. (Ich glaube, ich habe das schon mal geschrieben.)

      • Ulla39 schreibt:

        Blöd, das System arbeitet wieder mal nicht.
        „Na ja, weder das Eine noch … “ ist@tadeS75 gerichtet.

    • Olaf aus HH schreibt:

      @ Tades75

      Das waren klare -zugleich herbe – Worte.
      Gute Freunde von mir (zwei m.o.w. befreundete Paare) mit Kindern im passenden Alter (so um ca. 13 Jahre) lösen das dann so: Kind jobt (Oooh – Kinderarbeit !) mit Rasenmähen, Gartenarbeit, Autowaschen, Putzen, im Kleinladen Regale einsortieren, Hunde ausführen, Kaminholz unter Aufsicht hacken (wegen des Beils) und sonstwas vergleichbares etc. Jedenfalls machbar ohne Schaden. Natürlich mit Bezahlung.
      Nach angemessener Zeit (einige Wochen) waren die Eltern dann „zufrieden“ 😉 und überzeugt und haben dann irgendwas zwischen X0 bis <100 EUR beigesteuert. Und die Kinder waren stolz über ihre Leistung. Dann gab es ein Smartphone von Singsangsummsung (nicht das Apfeleifohn) für ca.130 Ocken und der (Familienzweit-) Chip war sowieso schon vorhanden.
      Schon ist Frieden: Kind hat eine Vorstellung gewonnen, was so etwas an Aufwand kostet (auch wenn es kein BMW 3 war…), und die Eltern haben es vorgemacht, was so in etwa los ist in dieser Welt.
      Ich habe früher (so mit 12 Jahren – ab ca. 1968…) Zeitungen ausgetragen und danach für eine kleine Souterrainwäscherei in der Nähe für fünf (dann sechs !) Mark pro Stunde jeden Tag für ca. zwei Stunden ein Wäschefahrrad gefahren und das "Waschgeld" kassiert (korrekte Abrechnung war für mich eine Ehrensache). Das Fahrrad war eines dieser schwarzen robusten Dinger mit kleinerem Vorderrad und großem Korb darüber.
      Handies gab es damals nicht, aber Schiffsmodellbausätze… !

      Laßt sie und uns leben und lernen im Leben. So wie damals, es bringt die Kinder nicht um, wenn man Obhut pflegt und aufpaßt..

  7. irashanau schreibt:

    „Ich küsse seine Augen“ – interessante Dankesbekundung 🙂 Gibt’s dafür auch eine langweilige Übersetzung? 😀

  8. Ulla39 schreibt:

    Und noch Mal Ulla39: „die Augen eines anderen küssen“ ist eine Sympathiebekundung. Das sagt nur der Ältere zum Jüngeren. Wenn Deniz das so im Hinblick auf seinen Vater gesagt hat, ist es falsch.

    • frlkrise schreibt:

      Dann habe ich das schon sehr oft falsch gehört!

      • Ulla39 schreibt:

        Noch einmal Ulla 39: Kein Zweifel, daß Sie das schon oft gehört haben.Das Türkisch dieser „Niemandsländer“ ist nämlich auch längst nicht mehr korrekt genausowenig wie ihre Kenntnis türkischer Sitten. Muß ich hier doch mal sagen.

  9. sib schreibt:

    „Braucht Sie nich leid zu tun, Frl. Krise! Ich kannte ihm gar nicht. War der Vater von mein Vater und mein Vater seh ich doch fast nie.“ Tolunay hat eine deutsche Mutter, die mit ihm mehr oder weniger alleine lebt.“
    Hmm, Frl. Krise, er hat eine deutsche Mutter, mit der er allein lebt, und trotzdem dichten sie ihm diese Sprache an???

  10. petrus2105 schreibt:

    Reblogged this on Petrus2105's Blog und kommentierte:
    Nicht zur Nachahmung empfohlen und trotzdem traurige Realität in vielen Familien! Leider!!!

  11. „Ich küsse seinen Augen“
    Manch einer muss für einen 3er BMW was ganz anderes küssen. Wenn auch nicht beim Vater.

  12. Pfeffermatz schreibt:

    In der 4. Klasse meiner Tochter haben gleich (mindestens) zwei Kinder einen Smartphone für’s gute Zeugnis gekriegt. Meine Tochter hat verständlicherweise gefragt, wieso sie gar kein Handy besitzt, wo ihr Zeugnis doch noch besser war… ein anderer Junge hat sogar – weil auch kein Handy gekriegt – so geheult, dass seine Mutter verzweifelt bei uns anrief, wie wir das handhabten. Sie vermutete (zurecht!), dass wir vernünftig seien.

    • frauhilde schreibt:

      Zwei meiner Schüler haben zum Halbjahreszeugnis auch ein iPhone bekommen. Was mich aus der Fassung gebracht hat, war weniger, DASS sie es bekommen haben, als vielmehr, dass sie es als selbstverständlich sahen, dass so etwas „rausspringen“ muss.

  13. Thommi schreibt:

    Hmm, also da weiß man nicht, was man sagen soll… Ich meine gut, meine Schüler im Praktikum guggten auch sehr mitleidig als ich mein Motorroller mit sw display auf den Tisch gelegt hab als Uhr. (Wobei ich nicht mal so ein „Basishandy“ bräuchte). Aber das als Selbstverständlichkeit anzusehen…. Mein Vater versuchte es so ab der 8. Klasse mit einem Trick: Für jede 1 Zehn Mark für jede 2 Fünf Mark. Er wurde nicht wirklich viel an Geld los 🙂

    Vielleicht kann Frl Krise erklären wie das möglich ist ein BMW (vermutlich nebst Führerschein) zu finanzieren. Normalerweise leben dieses Familien doch häufig von Hartz 4 und ein BMW zumal als Neuwagen, den bezahlt man ja nicht eben mal so…

    Thommi

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